Zur Not-Wendigkeit des neuen Ordnungsmodells „KirchenRechtEthik“

Karl-Christoph Kuhn

März 2017

Kann der Glaube ohne Verfälschung sittlich oder rechtlich geboten, können Rechtsnormen ohne Verfälschung des Rechtswesens vergöttlicht werden? Ist ein Glaube an sittliche und kirchenrechtliche Norminhalte (Glaubensethik, Glaubensrecht/ Glaubensjurisdiktion) auf heutigem Kenntnisstand mit dem „Kirche Christi-Sein“ vereinbar? Erfordert hierarchisches Gemeinwohl als „Selbstzweck“ wie bisher ggf. strukturellen Menschenmissbrauch? Oder ist innerkirchlich die neuzeitlich erkannte Menschenwürde in ihrem vernunftnaturrechtlichen Menschenrechtswesensgehalt unverfügbare Voraussetzung des Kirche-Christi-Seins, sodass nicht der Mensch der Rechtsglaubensinstitution und ihrem vergöttlichten hierarchischen Amts-Selbstzweck, sondern die Rechtsinstitution/ das Weiheamt unumkehrbar jedem und allen Menschen des Volkes Gottes kraft Menschenwürde-Selbstzweck in tiefster Heilsglaubens-Bewahrheitung dient?

–  Fragen im pastoralen Dienste des unverfälschten christlichen Liebesglaubenswesens und der entsprechend zu verwesentlichenden innerkirchlichen und ökumenischen Einheit. Fragen als innere Voraussetzung eines dem Weltfrieden dienenden Religionsrechts. Fragen zur grundlegenden Strukturreform, die sich zuerst an uns selbst stellen. Sie sind im Sinne von Papst Franziskus („Evangelii Gaudium“/2013) programmatisch verstehbar. Sie drängen uns ggf. zum Aufbruch des Alt-Eingewöhnten. Sie stellen insbesondere uns kirchenrechtsphilosophisch bzw. rechtsethisch ausgerichteten (Pastoral-) KanonistInnen (wie z.B. Gerhard Luf, Eva-Maria Maier/Wien) bleibend die ggf. ungewohnt schwere rechtstheologisch-rechtsethische Aufgabe (Johannes Paul II/1980) der Reform des hierarchischen Glaubensrechtscharakters der römisch-katholischen Kirche und ihrer Rechtsverfassung zugunsten ihres („iura hominum“) Gewissensfreiheitcharakters im gnadespezifisch-liebesgratuitär überbietend „notdienst“-wirksamen Heilsbezug. (Letzterer wird im Sinne spezifisch wirksamer „Heilsrelationalität“ bei Alfons Auer ggf. kurz mit dem Zeichen oder als Glaube/ Hoffnung überragende Mitte mit~~ wiedergegeben)

Die Entwicklung eines dafür (nach Johannes Neumann bisher fehlenden) neu notwendigen „KirchenRechtEthik“-Erkenntnisweges theologischer Kirchenrechtsbegründung, der die Menschenrechte verbessert als Fundament der Christenrechte auszuweisen vermag, nimmt der Autor  seit 1980 (1980-1985 wiss.Ass.) im Fach kanonisches Recht in Tübingen in Angriff. Ihm liegt die Grunddenkbewegung des wegweisenden (Glaubensethik/ Glaubensrecht ausschließenden) Modells heilsrelational   „autonomer Moral“ von Alfons Auer und dessen nachhaltige Gutheißung zugrunde. Zu seiner Entwicklung in der Kanonistik bietet der nachkonziliare Ansatz der „Kirchenordnung“ von Peter Huizing SJ bleibend wie kein zweiter verdienstvolle pastoralkanonistische Reformentwürfe und -anhaltspunkte.

Das Ordnungsreformprogramm „KirchenRechtEthik“ zielt auf die Reform des hierarchischen „Glaubensjurisdiktions“-/ Glaubensrechts-Charakters der Kirche und ihrer Rechtsverfassung unter dem heilsrelational-autonomen Menschenwürde-Vernunftanspruch der Gewissensüberzeugungsfreiheit. Das heißt z.B.: Die Verrechtlichung von Moral und Glaube bzw. die Vergöttlichung geschichtlicher Norminhalte wie sie sich in der Selbstermächtigung der Hierarchie zu unfehlbar kirchlicher Glaubenswahrheit-Lehrgesetzgebung seit 1989 wie noch nie in der Kirchengeschichte zeigt (1998 neu als c.750§2 in den CIC 1983 eingefügt), stellt die „Volk Gottes in Freiheit“-Wahrheitsrangordnung des Vaticanum II (Kirchenkonstitution „Lumen Gentium“, Erklärung über die Religionsfreiheit „Dignitatis Humanae“) auf den Kopf. Strukturell ist damit über das Vaticanum I hinaus heute wie nie das Kirche Christi-Sein der römisch-katholischen Kirche blockiert. In dieser Legitimationsnot sitzt die „Ecksteinfrage“  (Mk 12,10; Mt 21,42): Wie kann die Kirche aus diesem großsektenhaft-absolutistischen hierarchisch-glaubenslehrgesetzlichen Selbstverschluss wieder in ihre wahre Amtssendung im Dienste des ganzen Volk Gottes freikommen? Vermag sie insbesondere an den in den Konfessionen erreichten Wahrheitsstand z.B. bzgl. der Frauenordination Anschluss zu finden?

Auf dem heilsrelational-kirchenrechtsethischen Ordnungsreformweg heißt die Antwortrichtung: Die wesenhaft geschichtsvernünftig beweglichen Norminhalte der Hierarchie dienen der Glaubensgewissensüberzeugung des Menschen kraft seiner selbstzwecklichen Menschenwürde im persönlich unmittelbaren und amtsinstitutionell unvertretbaren Tiefstbezug vor Gott. Nicht dienen die Menschen selbstzwecklichen Glaubensgesetzen  eines hierarchischen Jurisdiktionsgottes, der für sie Gewissen, Glauben und Verstand hat und vermittelt. Notwendig dafür ist, dass die das Glaubens- und Rechtsvernunftwesen verfälschende kurzschlüssige Ineinssetzung von Glaubens- und Norminhalten „restlos“ (mit E.M.Maier, in prot. -kirchlicher Rechtsethik mit H.-R.Reuter) beseitigt wird. Zuallererst bedeutet dies, den neu geschaffenen unfehlbar kirchlichen Glaubensrechtsmachtgötzen der Hierarchie (c.750§2) und alle ihm (mit vollem zur Offenbarungswahrheit unterschiedslos gefordertem Zustimmungsgrad) explizit oder implizit dienenden „Glaubensgesetze“- und Abfallstrafgesetze restlos zu löschen. Dazu gehört auch alle entsprechend glaubensrechtspositivistisch-inkommunikable ggf. (hohe)priesterliche wie professorale (z.B. kanonistisch „korrekte“-H.Barion) Herrschafts-/Belehrungshaltungen und „demütig unfehlbar“ größenwahnhafte Gemütsprägungen im fürstlich abgesicherten („purpurnen“, ggf. auch „weißen“) Modus des „geringsten Dieners“ dem Selbstbegräbnis zu überlassen. Sie können mit Papst Franziskus als „Entkleidung“ der Kirche von „vermeintlicher doktrineller und disziplinarischer Sicherheit“ (Evangelii Gaudium Nr.94) mit einem äußerlich norm-„korrekt“ (Nr.93) gesuchten „Anschein“ der Sache Christi verstanden werden, die aber tatsächlich auf die eigene Sache (Vorteil, Ehre) und das eigene „narzistische und autoritäre“ Analyse- und Bewertungs- „Elitebewußtsein“ (Nr.94) berechnet ist. Er erkennt für Christen in einer derart „spirituellen Weltlichkeit“ scharfsichtig die Gefahr des „Götzendienstes“, die die Kirche „tötet“ (Ansprache des Papstes im Bischofshaus in Assisi vom 4.10,2013).

Bislang über Papst Franziskus hinaus hinzuzufügen ist, dass diese Gefahr hierarchisch-glaubensgesetzgebungsmächtig institutionalisiert besteht. Der mit dem bischöflichem Amtseid bisher eingeforderte hierarchisch-unfehlbare Glaubensjurisdiktionsgehorsam (nicht Gehorsam im Dienste des unfehlbaren Volk Gottes-„sensus fidelium“, wie vom Papst wegweisend erinnert EvG Nr.199) erzeugt bisher maßgeblich das verkehrt auch menschenmissbräuchlich „demütige“ hierarchische Glaubensrechts-Amtsmachtelitebewusstsein einer kranken Kirche (EvG Nr.49). Deshalb bleibt die Beseitigung der strukturell etablierten hierarchischen Glaubensjurisdiktions-Willküramtsmacht (als Hamartia-Strukturschuld) ggf. auch vor der Sanktion sie öffentlich ärgerlich ausschöpfender Einzelpersonen (z.B.Konsultationsrechtsverweigerung, Verfügungswillkür über Menschen und Sachen mit Berufung auf die höhere Göttlichkeit der verliehenden Amtsjurisdiktionsgewalt) vordringlich. Beispielhaft grobskizziert könnten sich als Wegmarken des notwendigen Ordnungsreformweges empfehlen: Alle kirchenrechtlichen (incl. liturgie- und kurialrechtlichen) Neuerungen seit 1983, die das Verhätlnis „Kodex dient dem Konzil“ neu-alt restaurativ zurückdrehen zu „Konzil dient Kodex“, sind auf den CIC-Stand 1983 zurückzusetzen. Von diesem Stand aus kann der weitere Strukturreformweg vom aporetisch etablierten hierarchisch absolutistischen Glaubensrechts-Herrschaftscharakter zum verstärkt subsidiär teilkirchenrechtsgestalteten (amtswahl- und mitentscheidend-) synodalen Freiheitsordnungscharakter im Heilsdienste des Volkes Gottes und entsprechender Grundgesetzentwicklung angegangen werden. Dabei könnte eine sinnvolle kulturautonome (EvG Nr.115) subsidiär-synodal teilkirchenrechtliche Zuständigkeitsaufwertung dadurch erreicht werden, dass die Lex Ecclesiae Fundamentalis-Entwürfe grundlegend in den Menschenwürde/ „iura hominum“-Zeichen der Zeit auch innerkirchlich ohne hierarchisch-glaubensrechtsnormativen Machtwillkür-Restvorbehalt zu einem zeitgemäß pastoral heilsamen Grundgesetz weiterentwickelt werden und das römisch-gesamtkirchliche Recht im Kern auf dieses Grundgesetz wesenszentriert-reduziert wird. Beispielhafte Herausforderungen solcher grundgesetzlicher Ordnungsreform sind: Die Vermengung von sakramental unauslöschlicher Taufgnade mit unauslöschlicher Gliedrechtsbindung an die Kirche (semel catholicus-semper catholicus). Dieser Tauf- Rechtsbindungsglaube erfordert bisher den menschenwürdeverletzenden Ausschluss der Freiheit des Kirchenaustritts und die Abfallsünde-Bestrafung, setzt also kurzschlüssig  Austrittsüberzeugung mit Abfallsünde/ Schuld, Gewissensüberzeugung des Austritts mit Gewissensverbrechen, Abfallsünde/Moral mit einem Tatbestand des Strafrechts ineins.  Hier weist bleibend die der Austrittsfreiheit geöffnete Erklärung über die Religionsfreiheit des Konzils (Dignitatis Humanae) und auch die protestantische Austrittsfreiheitsachtung kraft Menschenwürde etwa im Sinne von Hans-Richard Reuter den Ordnungsreformweg. Ähnlich ist die Verschmelzung von hierarchischer Jurisdiktionsinstitution und Offenbarungswahrheit (c.129§1) zugunsten der Entdogmatisierung des Jurisdiktionellen und der Entrechtlichung des Glaubensdogmas oder von Beicht- und Gerichtsstuhl (forum internum) zugunsten einer Beschränkung auf ein äußeres Rechtsform abzuschaffen. Besonders fordert zur pastoralen Eheordnungsreform das „göttliche Gesetz“ heraus, wie es als Ineinssetzung von ehesakramentaler Liebesgnade Gottes und Eherechtsvertrag in c.1055§2 CIC/1983 hervortritt. Diese Sakramentalisierung (Vergöttlichung/ Verabsolutierung) des  geschichtlich-menschlichen Wesens der Eherechtsvertragsgestalt  und ihre Überhöhung zum selbstzwecklich vollkommenen (situative Anwendungsabweichungen ausschließenden) „summum ius“ des „Gesetzes Gottes“, begründet das bisherige willküroffene Ehenichtigkeitssystem und z.B. auch den situativ anwendungsausnahmslosen Ausschluss wiederverheiratet Geschiedener von der Kommunionteilnahme. Im kontroversen Prozess der Bischofsynode 2014/15 beruft sich das Traditionslager um Papst Emeritus darauf. Gegen diesen starken Widerstand setzt Papst Franziskus mit der von ihm unterstützten Barmherzigkeits-Epikielösung die Ermöglichung ihrer Kommunionteilnahme pastoral wegweisend durch. Sein Apostolisches Schreiben Amoris Laetitia vom 19.3.2016 führt sie im 8. Kapitel aus. Dazu in Widerspruch tritt bei Papst Franziskus seine gleichzeitige Anerkennung des bisherigen göttlichen Gesetzes, d.h. der wesensverfälschenden Identität von Eherechtsvertrag und Eheakramentsgnade, wie er sie bekräftigt (AL Nr.75). Unter dem bisherigen Anspruch der Vollkommenheit dieses materiell-ehevertragsrechtskategorialen  göttlichen Gesetzes kraft Glaubensehegesetzesoffenbarung kann es nicht zugleich als generell göttlich-vollkommener Gesetzesinhalt bejaht und menschlich-unvollkommener Gesetzesinhalt situativ gehandhabt werden, ohne sich dem Verdacht menschlich unvollkommener Reklamation der Vollkommeneheit Gottes auszusetzen.  Dieser Widerspruch ist noch unbewältigt und ohne grundlegend kirchliche (Ehe) Ordnungsreform nicht zu beheben. Ordnungsreformnotwendig wäre die Reform der aporetischen Identität in c.1055§2 zur differenzierten Einheit von menschenmöglich-unauflöslicher geschichtlicher Ehevertragsvernunft und ehesakramental absolut unauflöslicher Glaubensgnade Gottes (z.B. durch Ersatz des „sit“ zu „contractus inservit eo ipso sacramento“).

Weiterführend gilt es im Heilsglaube-Gesetz-Verhältnis eine monistisch glaubens- und rechtswesensverfälschende „Heilsrecht“ oder „Christus legislator“-Verfassung zu überwinden.  Mit Gottlieb Söhngen heißt das dafür in jeder Glaube-Gesetz-Beziehungsaussage grundlegend durchzuhaltende und ein „Heilsrecht“ ausschließende „nicht auch“-Analogieprinzip: „Das Gesetz ist nicht auch Evangelium; und worauf es zuerst und zuletzt ankommt, das Evangelium ist nicht auch Gesetz“ (Grundfragen einer Rechtstheologie, München 1962, 95,98).- Dieses für das „Nicht ohne“ grundlegend vorauszusetzende „Nicht auch“ gilt auch für das Verhältnis von Welt und Kirche, speziell von Weltnormvernunft des Kirchenrechts und Heilsglaubensgnade. Mit Alfons Auer trägt es zutiefst das „unvermischt“ der im Konzil von Chalkedon errungenen Verhältnisprinzipien von Mensch und Gott in Jesus Christus aus: „Wir lehren einen und denselben Christus … in zwei Naturen, unvermischt und unverwandelt, ungetrennt und ungesondert, da der Unterschied der beiden Naturen durch die Einigung keineswegs aufgehoben, vielmehr die Eigentümlichkeit jeder Natur gewahrt ist und beide in einer Person und einer Hypostase sich vereinigen“ (aus DS 301-302 zit. nach Auer A., Autonome Moral und christlicher Glaube, Düsseldorf ²1984, 150).

Das heißt in die innerkirchlichen Menschenwürde-Rechtszeichen der Zeit übersetzt z.B.: Die vom Konzil neu als höchste Entscheidungsinstanz geachtete freie (ggf. auch Austritts-) Gewissensüberzeugung ist als kircheneigenes fundamentales Recht mit entsprechender Reform des hierarchischen Glaubensrechts- zum Freiheitsordnungscharakter im Dienste wahren Volk Gottes-Kirche Christi-Seins umzusetzen. Sie ist in alter Tübinger Schule (J.S.Drey, F.X.Linsenmann) im Dienste des gemeinsam priesterlichen Volkes Gottes weitsichtig erkannt und im Geiste der neuen „Volk Gottes in Freiheit“-Wahrheitsrangordnung und  charismatischen „Kirchenordnung“ (H.Küng, A.Grillmeier) des Vatikanum II bleibend neu kirchenrechtsgrundlegend aufgegeben (u.a. Kirchenkonstitution „Lumen Gentium“, Ökumenismusdekret „Unitatis Redintegratio“, Erklärung über die Religionsfreiheit „Dignitatis Humanae“, Pastoralkonstitution „Gaudium et Spes“ Art.48-52).

Im Blick auf das pastoral „Ordnungs“-Neue des kirchlichen Rechts- und Lehramtscharakters (Johannes XXIII) liegt soweit ein  konzeptionell und kanonistisch-methodisch konzilsprogrammatisches Ordnungsmodell „KirchenRechtEthik“ in spezifisch „integrierend-stimulierend-kritisierend“ wirksamer (norminhaltlich unfassbarer)  Heilsglaubens-„Relationalität“ (A. Auer, ebd. 185-197) vor. Es  charakterisiert jede und alle kirchlichen Rechtsnormen im neuen Volk Gottes-Konzils-„Horizont“ (L. Örsy) nicht mehr durch die alte vorrangig formell-hierarchisch glaubensrechtsbefehlende, sondern neu vorrangig materiell-pastoral Epikie/ Äquitas-verpflichtungsverantwortete  Geltungs-, Interpretations-, Anwendungsbegründung und ggf. auch neue Wortlautbedeutung (H. Schmitz). Sie erfordert eine rechtstheologisch-rechtsethische  Neucharakterisierung und Durcharbeitung aller kirchlichen Normbereiche unter dem zeitgemäß pastoralen Anspruch des auch innerkirchlich unabstimmbar-unverfügbaren Menschenrechtswesensgehaltes der Menschenwürde in spezifisch überbietend unverfälscht-unverrechtlicht wirksamer  Heilsglaubensrelation – auch  im Blick auf die ggf. entsprechend notwendige (von einem Konzil nicht leistbare) Vorarbeitspräsenz für Ordnungsreformentscheidungen eines Vaticanum III mit ökumenischem Rat …

In die kanonistische Wissenschaft wird dieses Modell und Reformprogramm insbesondere in zwei Schriftteilen eingebracht. Analog der Unterscheidung zwischen allgemeinem und speziellem Teil im Fach Moraltheologie bzw. Ethik legen diese dabei auch den Grund für die Unterscheidung zwischen allgemeiner und spezieller Rechtstheologie- (incl. Rechtsphilosophie-) Kirchenrechtsethik und ihre entsprechende Durchführung im Fach Kirchenrecht in konzeptioneller katholisch-protestantischer Rechtscharaktereinheit= Kirchenordnungseinheit. Die überzeugende Unterschiedlichkeit der Materien beider Teile in konzeptioneller Einheit war ursprünglich auch  das ausschlaggebende Argument, welches 1988 die katholisch-theologische Fakultät in Tübingen der Aufteilung meines umfangreichen Mss. in einen Diss.- und einen Habil.Teil, sowie nach Abschluss der Promotion am 28.April 1989 der Eröffnung meines Habilitationsverfahrens zur Erlangung der Lehrbefugnis für das Fach Kirchenrecht zustimmen ließ.

Der erste allgemein grundlegende Teil ist als Dissertationsschrift im Fach Kirchenrecht verfasst mit dem Titel „Kirchenordnung als rechtstheologisches Begründungsmodell. Konturen eines neuen Begriffs und Modells katholischer Rechtstheologie unter besonderer Berücksichtigung von Peter Huizing“/ 1990.  (Zur „Grunddenkbewegung“ bei Auer vgl. ebd. 8, 148-164.- Zur ersten Skizze des kirchlichen Freiheitsordnungsverständnisses bei Johann Sebastian Drey vgl. ebd. Fn. 71-74, zur bisher fehlenden/ gewonnenen Begriffsdefinition ebd. 55, zur Abgrenzung von evangelischen und katholischen „Glaubensrechtsansätzen“ vgl. Kap.II.1).

Der zweite Teil entwickelt Grundzüge einer speziellen Kirchenrechtsethik im Anwendungsbezug und liegt als Habilitationsschrift (Handexemplare) des Faches Kirchenrecht vor mit dem Titel: Grundsatzfragen kanonischer Rechtsprechung in beispielhaften Anwendungsbezügen. Ein Beitrag zur fundamental- und moraltheologischen Vermittlungshermeneutik der Kirchenordnung“, 2006/ 2016.  Er führt in den „Vorrang wirklich verpflichtender Geltung“ kanonischer Gesetze (Canones) ein und setzt den entsprechend heilsrelational-kirchenrechtsethischen Epikie/Äquitas-Charakter kanonischer Rechtsprechung in beispielhaften Bezügen des Rechtschutzes, alternativer  (Teamgesprächs-) Eherechtsprechung und Strafrechtsprechung, sowie der Elastizität kirchlichen Rechts um. Dabei werden auch Grundzüge des bisher nahezu unbekannten Rechtsethikmodells von Franz Xaver Linsenmann erschlossen. Sie ermöglichen z.B. den Nachweis der Abhängigkeit der Grundlegung kanonischen Rechts bei Joseph Klein von Linsenmann (s. Kap. IV/3) bzw. der Unhaltbarkeit seiner bis heute nahezu einhellig angenommenen und im Glaubensrechtsvorverständnis voruteilsbesetzt wahrgenommenen Abhängigkeit von Rudolph Sohm.

Klein hat vor dem Vaticanum II erstmals in der Kanonistik in Anlehnung an wesentliche Grundzüge des (kirchen-) rechtsethischen Ansatzes von Linsenmann einen neuen kanonistisch-moraltheologischen Ansatz „Kirche der freien Gefolgschaft“ entwickelt und gegen gesamtkirchlich geltende hierarchische Glaubensrechts- bzw. „göttliche Gesetzes“-Wahrheitsansprüche gewagt. Er hat seit Einführung des CIC/1917 als pastoralkanonistischer Pionier und Priester wie kein zweiter weitsichtig das pastoral-charismatische „Volk Gottes in Freiheitsordnung“-Anliegen des Konzils vorgearbeitet. Dass das Pastoralkonzil sich in seiner Kirchenrechtsreform-Zielsetzung auf diese ihm nahe Vorarbeit zumindest nicht explizit stützen konnte, lag daran, dass dieser neue Ansatz zum Extrem der Kirchenrechtsverneinung bei Sohm (einer Art protestantischer Strukurhäresie) verzerrt, dem anderen Extrem des „korrekten“ Glaubensrechts-Lehrvollzugspositivismus bei Hans Barion entgegengesetzt wurde und Klein in derart aussichtsloser Willkürausgrenzung seines Werkes und seiner Person in kath.-theol. Wissenschaft zum Protestantismus konvertierte. Dort ist die überzeitlich ökumenische Reichweite seines Werkes von einem seinerseits besonderen, aus der Vielzahl protestantisch-eigengeartet Glaube/Gnade-Recht-kurzschlüssiger Ansätze wegweisend herausragenden, Pionier geschichtsvernünftiger Kirchenrechtsbegründung in prinzipieller Glaubensbezogenheit erkannt: Hans von Campenhausen. Nach dem Konzil knüpft in der Kanonistik singulär Peter Huizing implizit an das Gedankengut von Klein an und setzt es in verdienstvollen pastoralkanonistischen Anwendungsbezügen weiter um …

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Vgl. einführend zum Ordnungsreformmodell „KirchenRechtsEthik“ allgemein:

Karl-Christoph Kuhn, Programmschrift zur Reform der Rechts- und Verfassungsstruktur der(katholischen) Kirche unter dem Anspruch der Menschenwürde.- In sieben Sprachen übersetzt und veröffentlicht von der Internationalen Zeitschrift Concilium (32, 1996, 402-409) unter dem Titel „Kirchenordnung statt Kirchenrecht?“, Sonderausgabe Tübingen 1998.

Johannes Wirsching, Vorwort, in: Kuhn, Kirchenordnung, 1990.-  Rezensionen zu Kuhn, Kirchenordnung: Gerhard Robbers in ZevKR 38 (1993) 104-105.- Knut Walf, in: Tijdschrift voer Theologie 31 (1991) 211.- G. Schmidt SJ, in: Zeitschrift für Philosophie und Theologie 66 (1991) 628-629 u.a.

Knut Walf, Gott, Mensch und Gesetz, in: Orientierung 59 (1995) 212-214.

Aktuell zu seiner Durchführung am Beispiel einer speziellen kirchenrechtsethischen Fragestellung:

 Alfons Auer, Zur Seelsorge mit wiederverheiratet Geschiedenen, in: ThQ 175 (1995) 84-96.

Karl-Christoph Kuhn, Päpstliche Ordnungsreformimpulse im Spannungsfeld der Bischofsynode. Ein Klärungsversuch zur Frage der Kommunionteilnahme wiederberheiratet Geschiedener, in: M.Graulich, Th.Meckel, M.Pulte (Hg), Ius canonicum in communione christifidelium, FS H.Hallermann, Paderborn 2016, 435-456.

Zum kanonistisch-moraltheologischen Ansatzes von Joseph Klein in bleibend aktueller ökumenischer Reichweite:

Joseph Klein, Kanonistische und moraltheologische Normierung in der katholischen Theologie, Habilitationsschrift Bonn 1944, veröffentlicht Tübingen 1949.- Vgl. dazu Karl-Christoph Kuhn, Die dreifach differenzierte (Glaube-Moral/Ethik-Gesetz-) Vermittlungshermeneutik von F.X.Linsenmann bei Klein, in: Ders., Grundsatzfragen.., Habilitationsschrift 2006, wie oben zitiert, Kap.IV,3.,B.

Hans von Campenhausen, Die Begründung kirchlicher Entscheidungen beim Apostel Paulus, Heidelberg 1957, ²1965.- Hans von Campenhausen, Kirchliches Amt und geistliche Vollmacht in den ersten drei Jahrhunderten, Heidelberg 1953, Tübingen ²1963.

Karl-Christoph Kuhn, „Lebensordnung“ im „Geist“. Zur aktuellen Reichweite der Grundlegung des Kirchenrechts bei Hans von Campenhausen (1903-1989), in: 59 (2014) 96-114.